LIEDTEXTE 28.11.
Das „Vielleicht“-Lied (Bertolt Brecht, 1898-1956)
Vielleicht vergeht uns so der Rest der Jahre.
Vielleicht vergeh’n die Schatten, die uns störten.
Und die Gerüchte, die wir kürzlich hörten,
die finster waren, waren nicht das Wahre.
Vielleicht, dass sie uns noch einmal vergessen.
So wie wir gern sie auch vergessen hätten.
Wir setzen uns vielleicht noch oft zum Essen.
Vielleicht sterben wir noch in unsern Betten.
Vielleicht, dass sie uns nicht verdammen, sondern loben.
Vielleicht gibt uns die Nacht sogar das Licht her.
Vielleicht bleibt dieser Mond einst voll und wechselt nicht mehr.
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben.
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben.
Im Hofe steht ein Pflaumenbaum,
Der ist so klein, man glaubt es kaum.
Er hat ein Gitter drum,
So tritt ihn keiner um.
Der Kleine kann nicht größer wer’n,
Ja – größer wer’n, das möcht‘ er gern!
’s ist keine Red davon:
Er hat zu wenig Sonn‘.
Dem Pflaumenbaum, man glaubt ihm kaum,
Weil er nie eine Pflaume hat.
Doch er ist ein Pflaumenbaum:
Man kennt es an dem Blatt.
Chanson allemande (Bertold Viertel, 1885-1953)
Wer traurig sein will, wird vielleicht mich lesen,
Und er wird denken zwischen den Zeilen:
"Ja, traurig ist auch dieser Mensch gewesen.
Aber kann seine Traurigkeit die meine heilen?"
Ich will Dich nicht über die Gründe fragen
Der Traurigkeit, du Mensch der besseren Zeiten.
Die meine wird dir die Geschichte sagen,
Die Jahresdaten meiner Traurigkeiten.
Es sind die alten Weisen (Johannes R. Becher, 1891-1958)
Es sind die alten Weisen,
die neu in uns entstehn
und die im Wind, dem leisen,
von fern herüberwehn.
Wenn sich die Wipfel neigen
allabendlich im Winter,
dann gehn durch unser Schweigen
sie, die gefallen sind.
Es sind die alten Weisen,
die singen neu aus mir,
und wie vorzeiten wieder
am Abend singen wir.
Es ist in uns ein Raunen
und wird zum großen Chor,
und zu den Sternen staunen,
staunen wir empor!
Verfehlte Liebe (Heinrich Heine, 1797-1856)
Zuweilen dünkt es mich, als trübe
geheime Sehnsucht deinen Blick –
Ich kenn es wohl, dein Missgeschick:
Verfehltes Leben, verfehlte Liebe!
Du blickst so traurig! Wiedergeben
kann ich dir nicht die Jugendzeit –
Unheilbar ist dein Herzleid:
Verfehlte Liebe, verfehltes Leben!
Es geht ein dunkle Wolk herein, (Trad.)
Es geht ein dunkle Wolk herein
mich dünkt, es wird ein Regen sein,
ein Regen aus den Wolken
wohl in das grüne Gras.
Und kommst du, liebe Sonn, nit bald,
so weset alls im grünen Wald,
und all die müden Blumen,
die leiden bitt´ren Tod.
Oh Fallada, da du hangest: EIN PFERD KLAGT AN ( Brecht)
Ich zog meine Fuhre trotz meiner Schwäche
Ich kam bis zur Frankfurter Allee.
Dort denke ich noch: O je!
Diese Schwäche! Wenn ich mich gehenlasse
Kann ’s mir passieren, daß ich zusammenbreche.
Zehn Minuten später lagen nur noch meine Knochen auf der Straße.
Kaum war ich da nämlich zusammengebrochen
(Der Kutscher lief zum Telefon)
Da stürzten aus den Häusern schon
Hungrige Menschen, um ein Pfund Fleisch zu erben
Rissen mit Messern mir das Fleisch von den Knochen
Und ich lebte überhaupt noch und war gar nicht fertig
mit dem Sterben.
Aber die kannt‘ ich doch von früher, die Leute!
Die brachten mir Säcke gegen die Fliegen doch
Schenkten mir altes Brot und ermahnten
Meinen Kutscher, sanft mit mir umzugehen.
Einst mir so freundlich und mir so feindlich heute!
Plötzlich waren sie wie ausgewechselt! Ach, was war
mit ihnen geschehen?
Da fragte ich mich: Was für eine Kälte
Muß über die Leute gekommen sein!
Wer schlägt da so auf sie ein
Daß sie jetzt so durch und durch erkaltet?
So helft ihnen doch! Und tut das in Bälde!
Sonst passiert euch etwas, was ihr nicht für möglich haltet!
Solidaritätslied ( Brecht)
Vorwärts und nicht vergessen,
Worin unsre Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
Vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!
Auf ihr Völker dieser Erde,
Einigt euch in diesem Sinn,
Daß sie jetzt die eure werde,
Und die große Nährerin.
Vorwärts und nicht vergessen,
Worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
Vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!
(Schwarzer, Weißer, Brauner,
Gelber! Endet ihre Schlächterei!
Reden erst die Völker selber,
Werden sie schnell einig sein.
Vorwärts ...)
Wollen wir es schnell erreichen,
Brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich läßt seinesgleichen,
Läßt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts ...
(Unsre Herrn, wer sie auch seien,
Sehen unsre Zwietracht gern,
Denn solang sie uns entzweien,
Bleiben sie doch unsre Herrn.
Vorwärts …)
Proletarier aller Länder,
Einigt euch und ihr seid frei.
Eure großen Regimenter
Brechen jede Tyrannei!
Vorwärts und nicht vergessen
Und die Frage korrekt gestellt
Beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?
Stempellied (Robert Gilbert, 1899-1978)
Keenen Sechser in der Tasche,
Bloß 'n Stempelschein.
Durch die Löcher der Kledaasche
Kiekt die Sonne rein.
Mensch, so stehste vor der Umwelt
Jänzlich ohne was;
Wenn dein Leichnam plötzlich umfällt,
Wird keen Ooge naß.
Keene Molle schmeißt der Olle,
Wenn er dir so sieht .-. Tscha
Die Lage sieht sehr flau aus,
Bestenfalls im Leichenschauhaus
Haste noch Kredit.
Stellste dir zum Stempeln an
Wird det Elend nich behoben. –
Wer hat dir, du armer Mann,
Abjebaut so hoch da droben?
Ohne Arbeit, ohne Bleibe
Biste null und nischt.
Wie 'ne Fliege von der Scheibe
Wirste wegjewischt.
Ohne Pinke an der Panke
Stehste machtlos da,
Und der Burschoa sagt: Danke!
Rückste ihm zu nah.
Äußerst schnell schafft
Die Jesellschaft Menschen uff 'n Müll –
Wenn de hungerst, halt de Fresse;
Denn sonst kriegste 'ne Kompresse –
Und das mit Jebrüll.
Stellste dir zu pampich an,
Setzt et jleich 'n Wink von oben –
Denn es hab 'n dich armen Mann
Abjebaut die hoch da droben.
Und so kieken dir de Knochen
Sachte aus der Haut.
Und du bist in wen'gen Wochen
Völlig abjebaut.
Und du koofst dir een paar Latten
Für 'ne letzte Mark;
Denn für eenen dünnen Schatten
Reicht 'n dünner Sarg.
Nur nich drängeln
Zu die Engeln
Kommste noch zur Zeit.
"Holde Rationalisierung"
Singt dir de Jewerkschaftsführung
Sinnig zum Geleit.
Stell dir vorsichtshalber dann
Jleich zum Stempeln an auch oben –
Denn du bleibst, als armer Mann,
Abjebaut auch hoch da droben.
Mutters Hände (Kurt Tucholsky, 1890-1935)
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm -
un jewischt un jenäht
un jemacht un jedreht...
alles mit deine Hände.
Hast de Milch zujedeckt,
uns bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen -
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält...
alles mit deine Hände.
Hast uns manches Mal
bei jroßem Schkandal
auch'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben...
Alles mit deine Hände.
Die Ballade vom Wasserrad ( Brecht)
Von den Großen dieser Erde
melden uns die Heldenlieder:
Steigend auf so wie Gestirne
gehn sie wie Gestirne nieder.
Das klingt tröstlich, und man muss es wissen.
Nur: für uns, die sie ernähren müssen
ist das leider immer ziemlich gleich gewesen.
Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen?
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.
2
Ach, wir hatten viele Herren
hatten Tiger und Hyänen
hatten Adler, hatten Schweine
doch wir nährten den und jenen.
Ob sie besser waren oder schlimmer:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine
dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine!
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.
3
Und sie schlagen sich die Köpfe
blutig, raufend um die Beute
nennen andre gierige Tröpfe
und sich selber gute Leute.
Unaufhörlich sehn wir sie einander grollen
und bekämpfen. Einzig und alleinig
wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen
sind sie sich auf einmal völlig einig.
Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
und das heitre Spiel, es unterbleibt
wenn das Wasser endlich mit befreiter
Stärke seine eigne Sach betreibt.
Und endlich (Peter Altenberg, 1859-1919)
Und endlich stirbt die Sehnsucht doch – – –
wie Blüthen sterben im Kellerloch,
die ewig auf ein bisschen Sonne warten.
Wie Thiere sterben, die man lieblos hält,
und alles Unbetreute in der Welt!
Man denkt nicht mehr; »Wo wird sie sein –?!?«
Ruhig erwacht man, ruhig schläft man ein.
Wie in verwehte Jugendtage blickst Du zurück,
und irgendeiner sagt Dir weise: »S' ist Dein Glück!«
Da denkt man, dass es vielleicht wirklich so ist,
wundert sich still, dass man doch nicht froh ist!
Lied eines Freudenmädchens ( Brecht)
Meine Herren, mit siebzehn Jahren
Kam ich auf den Liebesmarkt
Und ich habe viel erfahren.
Böses gab es viel
Doch das war das Spiel –
Aber manches hab ich doch verargt.
Gott sei Dank geht alles schnell vorüber
Auch die Liebe und der Kummer sogar.
Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?
Freilich geht man mit den Jahren
Leichter auf den Liebesmarkt
Und umarmt sie dort in Scharen.
Aber das Gefühl Wird erstaunlich kühl
Wenn man damit allzu wenig kargt.
Und auch wenn man gut das Handeln
Lernte auf der Liebesmess’:
Lust in Kleingeld zu verwandeln
Wird doch niemals leicht.
Nun, es wird erreicht.
Doch man wird auch älter unterdes.
An den kleinen Radioapparat ( Brecht)
Du kleiner Kasten, den ich flüchtend trug
Dass seine Lampen mir auch nicht zerbrächen
Besorgt vom Haus zum Schiff, vom Schiff zum Zug
Dass meine Feinde weiter zu mir sprächen
An meinem Lager und zu meiner Pein
Der letzten nachts, der ersten in der Früh
Von ihren Siegen und von meiner Müh:
Versprich mir, nicht auf einmal stumm zu sein.
Lied vom Anstreicher Hitler ( Brecht)
Der Anstreicher Hitler
Sagte: Liebe Leute, laßt mich ran!
Und er nahm einen Kübel frische Tünche
Und strich das deutsche Haus neu an.
Das ganze deutsche Haus neu an.
Der Anstreicher Hitler
Sagte: Diesen Neubau hat's im Nu!
Und die Löcher und die Risse und die Sprünge
Das strich er einfach alles zu.
Die ganze Scheiße strich er zu.
O Anstreicher Hitler
Warum warst du kein Maurer? Dein Haus
Wenn die Tünche in den Regen kommt
Kommt der Dreck drunter wieder raus.
Kommt das ganze Scheißhaus wieder raus.
Der Anstreicher Hitler
Hatte bis auf Farbe nichts studiert
Und als man ihn nun eben ranließ
Da hat er alles angeschmiert.
Ganz Deutschland hat er angeschmiert
In Nürnberg machten sie ein Gesetz,
darüber weinte manches Weib,
das mit dem falschen Mann im Bette lag.
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht.
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten,
wär' es heute Nacht.
Marie Sanders, dein Geliebter hat zu schwarzes Haar,
besser du bist heut' zu ihm
nicht mehr wie du zu ihm gestern warst.
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht.
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten,
wär' es heute Nacht.
Mutter, gib mir den Schlüssel,
es ist alles halb so schlimm,
der Mond schaut aus wie immer.
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht.
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten,
wär' es heute Nacht.
Eines Morgens früh um neun
fuhr sie durch die Stadt im Hemd,
um den Hals ein Schild,
das Haar geschoren, die Gasse johlte.
Sie blickte kalt.
Das Fleisch steht auf in den Vorstädten,
der Streicher redet heut' Nacht.
Großer Gott, wenn sie ein Ohr hätten,
wüßten sie, was man mit ihnen macht.
Goethe-Fragment (Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832)
Von Wolken streifenhaft befangen,
Versank zur Nacht des Himmels reinstes Blau;
Vermagert blass sind meine Wangen
Und meine Herzenstränen grau.
Lass mich nicht so in Nacht, den Schmerzen
Du Allerliebste, du mein Mondgesicht!
L´automne californien (Berthold Viertel, 1885-1953)
Die Leiter blieb noch unterm Feigenbaume stehen,
Doch er ist gelb und schon längst leergegessen
Von Schnäbeln und von Mündern, wem’s zuerst geglückt.
Wird ihn der nächste Sommer grün und reich beladen sehn,
Und kommt der Friede unterdessen,
Mag es ein andrer sein, der hier die Feigen pflückt.
Wir wären dann in kältere Breiten heimgegangen:
Da wächst kein Feigenbaum,
Aber der Wein. Fällt dort der Schnee,
Werden wir umso frischer sein
Und gern im wieder befreiten Winter wohnen
Anmut sparet nicht noch Mühe (Brecht)
Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
daß ein gutes Deutschland blühe,
wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
andern Völkern wolln wir sein,
von der See bis zu den Alpen,
von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern,
lieben und beschirmen wir’s.
Und das liebste mag’s uns scheinen
so wie andern Völkern ihrs.
LIEDTEXTE 28.11.
Das „Vielleicht“-Lied (Bertolt Brecht, 1898-1956)
Vielleicht vergeht uns so der Rest der Jahre.
Vielleicht vergeh’n die Schatten, die uns störten.
Und die Gerüchte, die wir kürzlich hörten,
die finster waren, waren nicht das Wahre.
Vielleicht, dass sie uns noch einmal vergessen.
So wie wir gern sie auch vergessen hätten.
Wir setzen uns vielleicht noch oft zum Essen.
Vielleicht sterben wir noch in unsern Betten.
Vielleicht, dass sie uns nicht verdammen, sondern loben.
Vielleicht gibt uns die Nacht sogar das Licht her.
Vielleicht bleibt dieser Mond einst voll und wechselt nicht mehr.
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben.
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben.
Im Hofe steht ein Pflaumenbaum,
Der ist so klein, man glaubt es kaum.
Er hat ein Gitter drum,
So tritt ihn keiner um.
Der Kleine kann nicht größer wer’n,
Ja – größer wer’n, das möcht‘ er gern!
’s ist keine Red davon:
Er hat zu wenig Sonn‘.
Dem Pflaumenbaum, man glaubt ihm kaum,
Weil er nie eine Pflaume hat.
Doch er ist ein Pflaumenbaum:
Man kennt es an dem Blatt.
Chanson allemande (Bertold Viertel, 1885-1953)
Wer traurig sein will, wird vielleicht mich lesen,
Und er wird denken zwischen den Zeilen:
"Ja, traurig ist auch dieser Mensch gewesen.
Aber kann seine Traurigkeit die meine heilen?"
Ich will Dich nicht über die Gründe fragen
Der Traurigkeit, du Mensch der besseren Zeiten.
Die meine wird dir die Geschichte sagen,
Die Jahresdaten meiner Traurigkeiten.
Es sind die alten Weisen (Johannes R. Becher, 1891-1958)
Es sind die alten Weisen,
die neu in uns entstehn
und die im Wind, dem leisen,
von fern herüberwehn.
Wenn sich die Wipfel neigen
allabendlich im Winter,
dann gehn durch unser Schweigen
sie, die gefallen sind.
Es sind die alten Weisen,
die singen neu aus mir,
und wie vorzeiten wieder
am Abend singen wir.
Es ist in uns ein Raunen
und wird zum großen Chor,
und zu den Sternen staunen,
staunen wir empor!
Verfehlte Liebe (Heinrich Heine, 1797-1856)
Zuweilen dünkt es mich, als trübe
geheime Sehnsucht deinen Blick –
Ich kenn es wohl, dein Missgeschick:
Verfehltes Leben, verfehlte Liebe!
Du blickst so traurig! Wiedergeben
kann ich dir nicht die Jugendzeit –
Unheilbar ist dein Herzleid:
Verfehlte Liebe, verfehltes Leben!
Es geht ein dunkle Wolk herein, (Trad.)
Es geht ein dunkle Wolk herein
mich dünkt, es wird ein Regen sein,
ein Regen aus den Wolken
wohl in das grüne Gras.
Und kommst du, liebe Sonn, nit bald,
so weset alls im grünen Wald,
und all die müden Blumen,
die leiden bitt´ren Tod.
Oh Fallada, da du hangest: EIN PFERD KLAGT AN ( Brecht)
Ich zog meine Fuhre trotz meiner Schwäche
Ich kam bis zur Frankfurter Allee.
Dort denke ich noch: O je!
Diese Schwäche! Wenn ich mich gehenlasse
Kann ’s mir passieren, daß ich zusammenbreche.
Zehn Minuten später lagen nur noch meine Knochen auf der Straße.
Kaum war ich da nämlich zusammengebrochen
(Der Kutscher lief zum Telefon)
Da stürzten aus den Häusern schon
Hungrige Menschen, um ein Pfund Fleisch zu erben
Rissen mit Messern mir das Fleisch von den Knochen
Und ich lebte überhaupt noch und war gar nicht fertig
mit dem Sterben.
Aber die kannt‘ ich doch von früher, die Leute!
Die brachten mir Säcke gegen die Fliegen doch
Schenkten mir altes Brot und ermahnten
Meinen Kutscher, sanft mit mir umzugehen.
Einst mir so freundlich und mir so feindlich heute!
Plötzlich waren sie wie ausgewechselt! Ach, was war
mit ihnen geschehen?
Da fragte ich mich: Was für eine Kälte
Muß über die Leute gekommen sein!
Wer schlägt da so auf sie ein
Daß sie jetzt so durch und durch erkaltet?
So helft ihnen doch! Und tut das in Bälde!
Sonst passiert euch etwas, was ihr nicht für möglich haltet!
Solidaritätslied ( Brecht)
Vorwärts und nicht vergessen,
Worin unsre Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
Vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!
Auf ihr Völker dieser Erde,
Einigt euch in diesem Sinn,
Daß sie jetzt die eure werde,
Und die große Nährerin.
Vorwärts und nicht vergessen,
Worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
Vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!
(Schwarzer, Weißer, Brauner,
Gelber! Endet ihre Schlächterei!
Reden erst die Völker selber,
Werden sie schnell einig sein.
Vorwärts ...)
Wollen wir es schnell erreichen,
Brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich läßt seinesgleichen,
Läßt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts ...
(Unsre Herrn, wer sie auch seien,
Sehen unsre Zwietracht gern,
Denn solang sie uns entzweien,
Bleiben sie doch unsre Herrn.
Vorwärts …)
Proletarier aller Länder,
Einigt euch und ihr seid frei.
Eure großen Regimenter
Brechen jede Tyrannei!
Vorwärts und nicht vergessen
Und die Frage korrekt gestellt
Beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?
Stempellied (Robert Gilbert, 1899-1978)
Keenen Sechser in der Tasche,
Bloß 'n Stempelschein.
Durch die Löcher der Kledaasche
Kiekt die Sonne rein.
Mensch, so stehste vor der Umwelt
Jänzlich ohne was;
Wenn dein Leichnam plötzlich umfällt,
Wird keen Ooge naß.
Keene Molle schmeißt der Olle,
Wenn er dir so sieht .-. Tscha
Die Lage sieht sehr flau aus,
Bestenfalls im Leichenschauhaus
Haste noch Kredit.
Stellste dir zum Stempeln an
Wird det Elend nich behoben. –
Wer hat dir, du armer Mann,
Abjebaut so hoch da droben?
Ohne Arbeit, ohne Bleibe
Biste null und nischt.
Wie 'ne Fliege von der Scheibe
Wirste wegjewischt.
Ohne Pinke an der Panke
Stehste machtlos da,
Und der Burschoa sagt: Danke!
Rückste ihm zu nah.
Äußerst schnell schafft
Die Jesellschaft Menschen uff 'n Müll –
Wenn de hungerst, halt de Fresse;
Denn sonst kriegste 'ne Kompresse –
Und das mit Jebrüll.
Stellste dir zu pampich an,
Setzt et jleich 'n Wink von oben –
Denn es hab 'n dich armen Mann
Abjebaut die hoch da droben.
Und so kieken dir de Knochen
Sachte aus der Haut.
Und du bist in wen'gen Wochen
Völlig abjebaut.
Und du koofst dir een paar Latten
Für 'ne letzte Mark;
Denn für eenen dünnen Schatten
Reicht 'n dünner Sarg.
Nur nich drängeln
Zu die Engeln
Kommste noch zur Zeit.
"Holde Rationalisierung"
Singt dir de Jewerkschaftsführung
Sinnig zum Geleit.
Stell dir vorsichtshalber dann
Jleich zum Stempeln an auch oben –
Denn du bleibst, als armer Mann,
Abjebaut auch hoch da droben.
Mutters Hände (Kurt Tucholsky, 1890-1935)
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm -
un jewischt un jenäht
un jemacht un jedreht...
alles mit deine Hände.
Hast de Milch zujedeckt,
uns bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen -
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält...
alles mit deine Hände.
Hast uns manches Mal
bei jroßem Schkandal
auch'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben...
Alles mit deine Hände.
Die Ballade vom Wasserrad ( Brecht)
Von den Großen dieser Erde
melden uns die Heldenlieder:
Steigend auf so wie Gestirne
gehn sie wie Gestirne nieder.
Das klingt tröstlich, und man muss es wissen.
Nur: für uns, die sie ernähren müssen
ist das leider immer ziemlich gleich gewesen.
Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen?
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.
2
Ach, wir hatten viele Herren
hatten Tiger und Hyänen
hatten Adler, hatten Schweine
doch wir nährten den und jenen.
Ob sie besser waren oder schlimmer:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine
dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine!
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.
3
Und sie schlagen sich die Köpfe
blutig, raufend um die Beute
nennen andre gierige Tröpfe
und sich selber gute Leute.
Unaufhörlich sehn wir sie einander grollen
und bekämpfen. Einzig und alleinig
wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen
sind sie sich auf einmal völlig einig.
Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
und das heitre Spiel, es unterbleibt
wenn das Wasser endlich mit befreiter
Stärke seine eigne Sach betreibt.
Und endlich (Peter Altenberg, 1859-1919)
Und endlich stirbt die Sehnsucht doch – – –
wie Blüthen sterben im Kellerloch,
die ewig auf ein bisschen Sonne warten.
Wie Thiere sterben, die man lieblos hält,
und alles Unbetreute in der Welt!
Man denkt nicht mehr; »Wo wird sie sein –?!?«
Ruhig erwacht man, ruhig schläft man ein.
Wie in verwehte Jugendtage blickst Du zurück,
und irgendeiner sagt Dir weise: »S' ist Dein Glück!«
Da denkt man, dass es vielleicht wirklich so ist,
wundert sich still, dass man doch nicht froh ist!
Lied eines Freudenmädchens ( Brecht)
Meine Herren, mit siebzehn Jahren
Kam ich auf den Liebesmarkt
Und ich habe viel erfahren.
Böses gab es viel
Doch das war das Spiel –
Aber manches hab ich doch verargt.
Gott sei Dank geht alles schnell vorüber
Auch die Liebe und der Kummer sogar.
Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?
Freilich geht man mit den Jahren
Leichter auf den Liebesmarkt
Und umarmt sie dort in Scharen.
Aber das Gefühl Wird erstaunlich kühl
Wenn man damit allzu wenig kargt.
Und auch wenn man gut das Handeln
Lernte auf der Liebesmess’:
Lust in Kleingeld zu verwandeln
Wird doch niemals leicht.
Nun, es wird erreicht.
Doch man wird auch älter unterdes.
An den kleinen Radioapparat ( Brecht)
Du kleiner Kasten, den ich flüchtend trug
Dass seine Lampen mir auch nicht zerbrächen
Besorgt vom Haus zum Schiff, vom Schiff zum Zug
Dass meine Feinde weiter zu mir sprächen
An meinem Lager und zu meiner Pein
Der letzten nachts, der ersten in der Früh
Von ihren Siegen und von meiner Müh:
Versprich mir, nicht auf einmal stumm zu sein.
Lied vom Anstreicher Hitler ( Brecht)
Der Anstreicher Hitler
Sagte: Liebe Leute, laßt mich ran!
Und er nahm einen Kübel frische Tünche
Und strich das deutsche Haus neu an.
Das ganze deutsche Haus neu an.
Der Anstreicher Hitler
Sagte: Diesen Neubau hat's im Nu!
Und die Löcher und die Risse und die Sprünge
Das strich er einfach alles zu.
Die ganze Scheiße strich er zu.
O Anstreicher Hitler
Warum warst du kein Maurer? Dein Haus
Wenn die Tünche in den Regen kommt
Kommt der Dreck drunter wieder raus.
Kommt das ganze Scheißhaus wieder raus.
Der Anstreicher Hitler
Hatte bis auf Farbe nichts studiert
Und als man ihn nun eben ranließ
Da hat er alles angeschmiert.
Ganz Deutschland hat er angeschmiert
In Nürnberg machten sie ein Gesetz,
darüber weinte manches Weib,
das mit dem falschen Mann im Bette lag.
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht.
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten,
wär' es heute Nacht.
Marie Sanders, dein Geliebter hat zu schwarzes Haar,
besser du bist heut' zu ihm
nicht mehr wie du zu ihm gestern warst.
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht.
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten,
wär' es heute Nacht.
Mutter, gib mir den Schlüssel,
es ist alles halb so schlimm,
der Mond schaut aus wie immer.
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht.
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten,
wär' es heute Nacht.
Eines Morgens früh um neun
fuhr sie durch die Stadt im Hemd,
um den Hals ein Schild,
das Haar geschoren, die Gasse johlte.
Sie blickte kalt.
Das Fleisch steht auf in den Vorstädten,
der Streicher redet heut' Nacht.
Großer Gott, wenn sie ein Ohr hätten,
wüßten sie, was man mit ihnen macht.
Goethe-Fragment (Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832)
Von Wolken streifenhaft befangen,
Versank zur Nacht des Himmels reinstes Blau;
Vermagert blass sind meine Wangen
Und meine Herzenstränen grau.
Lass mich nicht so in Nacht, den Schmerzen
Du Allerliebste, du mein Mondgesicht!
L´automne californien (Berthold Viertel, 1885-1953)
Die Leiter blieb noch unterm Feigenbaume stehen,
Doch er ist gelb und schon längst leergegessen
Von Schnäbeln und von Mündern, wem’s zuerst geglückt.
Wird ihn der nächste Sommer grün und reich beladen sehn,
Und kommt der Friede unterdessen,
Mag es ein andrer sein, der hier die Feigen pflückt.
Wir wären dann in kältere Breiten heimgegangen:
Da wächst kein Feigenbaum,
Aber der Wein. Fällt dort der Schnee,
Werden wir umso frischer sein
Und gern im wieder befreiten Winter wohnen
Anmut sparet nicht noch Mühe (Brecht)
Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
daß ein gutes Deutschland blühe,
wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
andern Völkern wolln wir sein,
von der See bis zu den Alpen,
von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern,
lieben und beschirmen wir’s.
Und das liebste mag’s uns scheinen
so wie andern Völkern ihrs.
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